Seit einigen Jahren hört und liest man über „The Line“ und das Projekt NEOM, welches in Saudi-Arabien die Stadt der Zukunft sein soll, nicht dass China mit seinen Planstädten schon schlechtere Erfahrungen gemacht hat (Under Occupied Developments in China, Ordos, China’s empty city), wobei ich zumindest das Konzept einer geplanten Stadt als IT und Entwickler praktisch und spannend finde, zum Beispiel die Südkoreanische Planstadt Songdo, welche eigentlich ein Stadtteil der Millionenstadt Incheon ist. Der Vorteil liegt hierbei einfach darin, dass man alles optimieren kann, Abläufe verbessern, und auf dem Papier technisch besser das umsetzen kann, als wenn etwas organisch wächst.
Leider oder eigentlich glücklicherweise, gibt es die menschliche Natur, und diese ist nun mal organisch.
Eine Planstadt leidet häufig daran, dass dort weniger Menschen leben als es Wohnraum gibt. Das hat einfach den Grund, dass Städte eine Geschichte haben und Unternehmen dort arbeiten, Ressourcen abbauen, verarbeiten oder geschichtliche dort schon immer ansässig waren. Aber von Grund auf etwas erschaffen? Ohne Geschichte? Ohne Kultur? Das ist für Menschen schon schwieriger. Denn eine Stadt ist ein lebender Organismus, der Verkehr, die Infrastruktur, ist der Puls, der alles in einer Stadt am Leben hält. Nun stelle man sich vor, man hätte einen solchen Organismus, was wäre denn die Menschen, die in diesem Organismus leben? Ich ziehe hier am besten der Vergleich zum Bluten bzw. zu einzelnen Blutplättchen, jedes trägt im Menschen Sauerstoff und versorgt so die Zellen im Organismus. Doch diese werden im menschlichen Körper gebildet. Also innerhalb dieser Stadt, die wir hier als Organismus sehen. Doch bei einer Planstadt? Da wir Menschen (noch) nicht in künstlichen Gebärmütter Maschinen züchten und in einer solchen Stadt aufwachsen lassen, um diese mit Leben zu füllen, setzen wir auf den Import von Menschen, über Werbekampagnen sollen Planstädte mit freiem Wohnraum in überfüllten Städte locken. Chinas Immobilienblase ist hierbei bereits am Platzen bzw. ist bereits geplatzt, da mehrere dutzende Gebäude abgerissen (22. August 2022 – People Have Stopped Paying Their Mortgages—China’s Real Estate Crisis) werden mussten, da die Immobilienunternehmen die Gelder, die Menschen für den Kauf einer Wohnung ausgaben, in Wirklichkeit dafür einsetzten mehr Bauland zu erwerben und das führte zum Platzen dieser Blase. Geld ist weg, Wohnung gibt es auch keine. Das ist hierbei ein Problem, dass Menschen Geld für etwas ausgeben, was noch gar nicht existiert.
Wie soll man also Menschen in eine Planstadt locken?
Prinzipiell braucht es einen Grund, okay, dieser wäre günstiger Wohnraum. Aber für Menschen braucht es mehr, diese wollen Kultur, Arbeit, für Kinder natürlich Bildungseinrichtungen. Freizeitgestaltung etc., Versorgung mit Lebensmittel und so weiter …
Eigentlich lösbar, aber es bleibt der Beigeschmack, denn Unternehmen müssen erstmal dort angesiedelt werden, aber warum? Diese brauchen Arbeitskräfte und für gewöhnlich gibt es diese nicht in einer leeren Stadt. Unternehmen siedeln sich dort an, wo es bereits Menschen gibt und wo man eine große Auswahl an Kandidaten hat, Großstädte und Metropolregionen. Seit Corona hat sich das Homeoffice aber auch immer mehr durchgesetzt, so kann man z. B. virtuelle Bürojobs von Zuhause erledigen. Also warum dann woanders hinziehen, wenn man Familie, Freunde und Eltern eventuell längst in der Stadt hat?
Hier kommt das „Henne und Ei“ – Problem. Menschen wollen Arbeit, aber Unternehmen wollen Menschen, um sich in der Stadt anzusiedeln. Das führt zu Problemen und kann quasi nur durch staatliche Unterstützung und Subventionierung ermöglicht werden → Lebenserhaltung am Tropf.
Und was hat das mit „The Line“ zu tun?
„The Line“ soll eine 170 km lange Stadt werden, welche 170 km (110 mi) lang und 0,2 km (0,1 mi) breit und 500 Meter (1,600 ft) hoch sein soll. Bereits auf der Karte sieht das wahnsinnig aus und erinnert an eine gerade Linie, was es auf dem Papier auch ist, und am ehesten mit der Chinesischen Mauer vergleichbar wäre.
Größe von „The Line“ auf einer Strecke von 170km via Wikipedia
Doch diese Linie ist keine Linie, sondern eine Mauer. Ich finde es schon kindisch es als „The Line“ zu bezeichnen, eine Linie gibt es nur in der 2. Dimension, aber wir leben in 3 Dimensionen und da ist eine solche Linie in der vertikalen von 500 Metern einfach eine Mauer.
Doch das ist nicht mal das eigentliche Problem.
Warum?
Punkt 1: Arbeit
„The Line“ soll 9 Millionen Menschen beherbergen und 380.000 Jobs schaffen. Gehen wir mal davon, das die Altersstruktur Saudi-Arabien 2030, 70 % Erwerbstätige beinhaltet 25 % Jugendliche und 5 % Bürger über 65 Jahren. 70 % von 9.000.000 Menschen wären 6.300.000 = 6,3 Millionen erwerbsfähige Menschen. Wie sollen 6.300.000 Menschen auf 380.000 Jobs passen? Es gibt dann einfach mehr Menschen als Jobs. Und vor allem mehr Erwerbsfähige als Jobs, heißt, wenn jeder Job besetzt wird, verbleiben 5.920.000 Menschen, welche keinen Job haben werden in dieser Stadt. Wie sollen diese Ihr Einkommen beziehen? Soll es ein Grundeinkommen geben? In Saudi-Arabien?
Man plant hier eine Stadt für Menschen, die dort nicht mal genug Jobs finden werden, um ihr Leben dort zu verbringen. Das geht schief.
Punkt 2: Aufbau
Die Stadt soll eine Wand mit Inhalt sein, 200 Meter breit und 170 Kilometer lang und wie soll das funktionieren? Angeblich soll alles innerhalb von 5 Minuten erreichbar sein. Klar, darauf bin ich gespannt, denn das hat schon was von Planwirtschaft, wenn man eine Arbeit hat, die auf der anderen Seite der 170 Kilometer liegt. Wird man dann gezwungen, dort hinzuziehen? Eine Hochgeschwindigkeits-Untergrundbahn soll die Strecke in 20 Minuten durchfahren, aber wie viele Züge wird man bei 9 Millionen Menschen brauchen? Laufen wird die Strecke niemand, Autos und Busse gibt es nicht. Das Nadelöhr wird die U-Bahn sein.
Andere Planstädte orientieren sich an den Strukturen bestehender Städte, die über hunderte Jahre sich entwickelt haben und Menschen geformt haben. In einer Planstadt wie „The Line“ wird man nicht eben ein Unternehmen in einem Wohngebiet aufbauen können.
Punkt 3: Natur, Umwelt, lokaler Einfluss
Die Planstadt selbst soll 170 km lang werden, diese Mauer durchzieht eine Wüstenregion, an sich kann da wohl nicht viel passieren oder jemand gestört werden, doch ist die Natur bzw. ein ökologisches Gleichgewicht wichtig, zumindest wurde mir das gefühlt die letzten Jahrzehnte immer erzählt. Die 170.000 Meter Länge x 500 Meter Höhe, ergeben ein langes Rechteck mit einer Fläche von 85.000.000 m² / Quadratmeter Glasfläche (so sieht man es auf den Zeichnungen der Stadtplaner), das Problem an dieser Fläche ist, es wird zur Klimakontrolle innerhalb der Stadt, das Licht reflektieren und diese Fläche wird eine große Menge Licht in die Wüste reflektieren, denn damit es innerhalb der Stadt kühl bleibt, darf nicht zu viel Licht eindringen. Wird natürlich im Präsentationsvideo als Frage vermieden, da die Sonne ja von oben gezeigt wird 😉 .
Die Sonne schickt pro Quadratmeter 1000W/m² auf die Erde. Solarthermie kann 50 % nutzen, Photovoltaik je nach Technik zwischen 20 und 30 %. Damit etwas Licht in die Stadt kommen, lassen wir in dieser Modell-Rechnung 50 % des Lichts rein.
Das heißt pro Quadratmeter Fläche, kommen 500W Solar-Leistung auf die Glasfläche welche reflektiert wird, die anderen 500W werden absorbiert und gelangen als Licht in die Stadt. Soweit so gut.
Aber auf 85.000.000 m² Fläche kommen pro m² 500Watt Wärme. 500W x 85.000.000 m² Fläche = 42.500.000.000 Watt ~ 42,5 Gigawatt Solare Leistung, die reflektiert wird. Wenn man jetzt keine Solarthermie Kraftwerke baut und „The Line“ als Reflexionsspiegel nutzen will, gehen diese 42,5 Gigawatt Wärme in die Wüste und das hat eben lokale Auswirkungen, denn das wird die Temperatur erhöhen. Zumindest in meiner Theorie. Natürlich kann ich hier auch falsch liegen, aber ich denke, die Rechnung sollte zeigen, welches Einfluss-Potenzial hier vorliegt.
Auch wenn „The Line“ nicht von der Sonne vom Aufgang bis zum Sonnenuntergang bestrahlt wird, sehe ich doch gewisse Probleme. Aber gut, das ist nur ein Einwand und wie weit sich die Problematik dann in der Realität abzeichnet ist offen.
Ein weiterer Punkt ist die Stadt selbst. In der Stadt gibt es keinen Wind, keine Tiere, es wirkt eher wie ein Vivarium für Menschen, in der alles vorgeplant ist und man quasi nicht rausgehen wird, warum auch, es ist ja nur Hitze und Wüste draußen. Ob man in der Stadt überhaupt rauchen kann? Denn allein die Belüftung und Kühlung wird viel Energie benötigen.
Man wird sich entweder entscheiden 200 Meter von einer Seite zur anderen oder 170 Kilometer zu laufen. Ich weiß nicht, da wirken mir die anderen Planstädte doch sympathischer an. Vielleicht sollte man „The Line“ eher wie eine zukünftige Kolonie auf dem Mars betrachten, so als mentale Vorbereitung 😉 .
Stand Oktober 2022 haben die Bauarbeiten begonnen und der Graben in dem sich das Fundament befinden wird, wurde ausgehoben, auf welcher Strecke sich dies befindet, lässt sich aus dem Video nicht sagen:
So soll „The Line“ einmal aussehen. (Oberes Video auf deutsch, unteres Video auf englisch)
Meine Meinung
Es ist krank, wir sollen sparen, unseren Konsum reduzieren, Energie verbrauch senken, mehr Recyceln und dort baut man eine Stadt, die eine Wand ist und die lokale Umwelt auf 170 Kilometer zerstört, dauerhaft und unnötig. Weder wird dadurch ein Problem gelöst, noch erbringt diese einen Wert. Es zeigt nur, wozu ein Land in der Lage ist. Stadtplanerisch völlig kaputt, die Menschen auf immer mehr dichten Raum zu „stapeln“, gerade Covid hat uns gezeigt, das in Städten ein Virus sich sehr schnell verbreiten kann. In „The Line“, müsste man quasi alle unter Quarantäne stellen, sollte es keine Möglichkeit geben Abschnitte abzuriegeln. Das Logistik System wird völlig überlastet sein, wenn alle durch die 170km fahren müssen und es nur U-Bahn gibt. Was ist das für ein Leben in diesem Vivarium einer Eliten-Dekadenz? Wo 500 Milliarden Dollar verschwendet werden.
Das ist kein Leben, weder Lebenswert noch lohnt es sich dort vorsichhin zu vegetieren, wenn man keine Arbeit hat und das Problem bleibt, Unternehmen müssen sich dort erstmal ansiedeln wollen. Saudi-Arabien macht sich aufgrund der dortigen Menschenrechts Probleme nicht sehr beliebt damit.